Protokoll des Lugrav-Treffens vom 22.3.2007
Ulrich Rieke
ulrich.rieke at onlinehome.de
Fr Mär 23 12:15:32 CET 2007
Hallo Tuxe ,
im Folgenden in Kürze zusammengefasst das Wichtigste vom
Treffen der Lugrav am 22.3.2007 in der Schule am
Möllerstift :
1)Nach der traditionellen Vorstellungsrunde , die
insbesondere unserem Referenten und Gast Jan Schneider
die Anwesenden kurz nahebringen sollte, folgte zunächst
ein Rückblick auf den nun schon fast traditionellen
Linuxtag am ersten Märzwochenende in Chemnitz. Unter
denen, die dort waren, bestand Einigkeit darüber, dass es
sich auch in diesem Jahr wieder um eine hervorragend
organisierte, überschaubare, in ihrer Atmosphäre fast
familiäre Veranstaltung mit interessanten Vorträgen
handelte, die in mehreren Hörsälen der TU Chemnitz
parallele Veranstaltungsreihen zu verschiedenen Themen
und qualitativ hochstehende Workshops anbot. Darüber
hinaus waren, wie üblich , verschiedene Gruppen wie
Vertreter der Distrubutionen( Debian, Ubuntu u . a. ) ,
Projekte wie Skolelinux, grml, LiMux, OpenWRT und viele
mehr in der Gebäudehalle präsent und ermöglichten einen
ungezwungenen Austausch untereinander.
Am Donnerstag wurde auch noch kurz über einige Vorträge
des Linuxtages gesprochen, wie etwa den von Jörg
Schilling über libfind. Aus seiner langen Erfahrung hatte
Jörg an die Einführung von uns heute so elementar und
unverzichtbar erscheinenden Dingen wie die Einführung von
Pipes zwischen verschiedenen Unix-Dienstprogrammen
erinnert. Er selbst hat mit libfind eine Möglichkeit
entwickelt, find reentrant auszuführen und sich die
Möglichkeit zu verschaffen, durch entsprechenden Einbau
in Pipes auch während einer Archivierung Attribute von
Dateien zu verändern und die Aufruf- und
Kommandozeilensemantik dafür im Vergleich zu dem heute
zur Verfügung stehenden Instrumentarium wesentlich zu
vereinfachen.
Erinnert wurde ferner am Donnerstag an den Vortrag über
Ruby on Rails, der in Chemnitz im Themenstrang www von
Peter Dickten aus Fürth gehalten wurde. Da es sich
offensichtlich in der Webentwicklerszene derzeit um ein
Modethema handelt, war der Hörsaal bei dieser
Veranstaltung gut gefüllt. Die Sprache Ruby kommt aus
Japan , wurde 1995 von Matsumoto kreiert und ist
eine objektorientierte Skriptsprache. Weiterentwickelt
von dem Amerikaner David Hansson, der auf der Webseite
37signals.com eine mit vielen Karikaturen durchsetzte
Einführung gibt, erlaubt die Sprache die rasche
Entwicklung von Webseiten und -anwendungen. Dabei wird
das auch aus anderen Sprachumgebungen ( Java ) bekannte
Model-View-Controller-Konzept eingesetzt. Im Vortrag
wurde auf einige fertige Pakete zur Installation von Ruby
verwiesen, wie ruby, irb oder rdoc , sowie gezeigt, wie
einfach es ist, etwa eine Datenbank anzulegen. In 3
verschiedenen Konfigurationen kann zwischen der
Entwicklung , dem Test und der Produktion unterschieden
werden. Beim Aufruf vom Webanwendungen folgt die URL dem
Schema http://<server>:<portnummer>/<controller als
Klasse>/<aktion als Methode>/<id als Parameter>. In dem
Vortrag wurde auch erwähnt , dass es in Ruby on Rails
leicht sei, neue Projekte aufzusetzen, aber deutlich
schwerer, vorhandene zu überarbeiten. Der Referent wies
auf die Webseite http://poignantguide.net zur Einführung
in das Thema hin.
Ein weiterer Vortrag in Chemnitz beschäftigte sich mit
dem barrierefreien Web aus der Sicht eines
Sehbehinderten, der selbst aus eigener Erfahrung mit den
Schwierigkeiten zu kämpfen hat, die er mit vielen Seiten
hat. Er selbst nutzt vielfach Textbrowser ,
die aber in der mangelnden Textorientierung vieler Webauftritte
ihre Grenze finden.
Vorgestellt wurden in Chemnitz ferner Alternativen zu
Präsentationsprogrammen, die als Powerpointclones
bezeichnet werden könnten. Hierzu stellte der Entwickler
Martin Fiedler keyJnote vor, das u. a. Lupenfunktionen
für Folien, vereinfachte Gesamtansichten über einen
Vortrag und besondere Überblendtechniken bietet. Das
Programm beruht auf Python und kann bei
http://keyjnote.sourceforge.net heruntergeladen werden.
Eine weitere alternative Präsentationsmöglichkeit besteht
mit Latex-Beamer, vorgestellt von Andreas Tille.
In einem weiteren Vortrag wurde in Chemnitz von Erkin
Yanar R als eine objektorientierte Sprache für die
Erhebung von Statistiken vorgestellt, die neben den
üblichen, in diesem Bereich obligaten Berechnungen auch
entsprechende erleichterte Visualisierungsmöglichkeiten
bietet, die durch den Aufruf von ( selbsterklärenden )
Funktionen wie pie( ) , curve( ) , plot( ) oder barplot()
nach entsprechender Aufbereitung der Primärdaten genutzt
werden können.
Weiterhin wurde am Donnerstag noch ein Vortrag zur
Automatisierung von Bildverarbeitung erwähnt , der in
Chemnitz gehalten wurde. Ausgangspunkt war dabei die
Verarbeitung von digitalen Urlaubsfotos zu einem
Kalender. Die Möglichkeiten des Paketes imagemagick und
dabei insbesondere von convert wurden den
Skriptmöglichkeiten von Gimp gegenübergestellt. Diese (
mit dem an Lisp erinnernden Skript-Fu ) erwiesen sich für
die genannte Aufgabe als geeignet, es wurde
Skript-Fu-Code vorgestellt, mit dem die Bilder
verarbeitet werden und in Shellskripte integriert werden
können.
2)Nach diesem Rückblick auf die Linuxtage in Chemnitz
kamen wir zum eigentlichen Hauptthema des Abends, einem
Vortrag von Jan Schneider aus Bielefeld zum Projekt Horde.
Er selbst kam zunächst als Übersetzer dazu, wurde dann
aber immer stärker auch in die Entwicklung einbezogen und
ist jetzt selbst einer der Hauptentwickler. Einige wenige
Programmierer( auch Jan ) verdienen in und mit Horde
ihren Lebensunterhalt, dazu gibt es eine Reihe von
freiwilligen, i.e. unbezahlten Programmierern . Es
handelt sich bei dem Projekt um ein
Webanwendungs-Framework auf der Basis von PHP. Dabei
verwendet Horde eine Fülle von selbstentwickelten
Bibliotheken, die nach den Kriterien der PHP-typischen
PEAR-Bibliotheken( PHP Extension Application Repository ,
also etwa das, was CPAN für Perl ist ) aufgebaut und
abgelegt sind. Ursprünglich ist Horde aus Webmail
hervorgegangen .
Die Software ist frei und steht unter LGPL-, in
Teilen auch anderen Lizenzen wie LGL u. a. Sie ist unter
Browsern für Einzelbenutzer und Gruppen nutzbar. Jan
Schneider selbst hatte eine erste Berührung mit dem
Projekt bei der Installation eines Servers für seine
eigene WG, als Horde half, webbasiert bestimmte Aufgaben
zu erledigen.
Horde besteht aus Kronolith, einem Kalendermodul, Turba,
einem Adressbuch, Nag, einem Aufgabenlistensystem und
Mnemo, einem Notizbuch. Dazu gibt es eine Webmail-Edition
IMP sowie Ingo, einem Emailfilter, die auf Servern
eingesetzt werden können und dort die Mailbearbeitung
ermöglichen.
Das Projekt selbst wurde von dem Amerikaner Chuck
Hagenbuch 1998 begründet, der immer noch mit von der
Partie ist und auch in strittigen Fragen das letzte Wort
hat. Die in den vergangenen Jahren entstandene Codebasis
ist riesig und umfasst Millionen von Programmcodezeilen,
auf die die Entwickler in einem CVS zugreifen, in dem
allerdings auch ACL's greifen. Die Entwicklerbasis
besteht aus 3 Hauptentwicklern, darunter Jan, und etwa 6
weiteren Programmierern. Regional besteht ein Schwerpunkt
in den USA, weitere Entwickler kommen aus Deutschland,
Slowenien , Großbritannien und Neuseeland. Zu den
Anwendern von Horde zählen kleinere Firmen , aber auch
größere Kunden wie ISP's , Debeka, NetCologne oder als
wohl größter die Telekom in Portugal.
Im Projekt gelten Kodierstandards, bei der Arbeit an den
Webanwendungen richtet man sich an Standards
wie XHTML , CSS und MIME aus. Darüber hinaus unterstützen
die Groupware-Anwendungen Formate wie iCalendar und
vCard.
Auf alle API's ist ein XML-RPC-Zugriff möglich. Im
Projekt selbst arbeitet man derzeit noch an einem
SynML-Server. Dabei geht es darum, eine Möglichkeit zu
schaffen, die Dateninhalte verschiedener Peripheriegeräte
wie etwa von Mobiltelefonen mit Servern zu
synchronisieren, ein wegen der apparativen Heterogenität
in der Peripherie wohl offensichtlich komplexes
Unterfangen. Auch WebDAV-Server sollen ermöglicht werden.
Bei der Arbeit mit Datenbanken bemüht sich das
Hordeprojekt um eine Unabhängigkeit von bestimmten
Formaten ; es wird eine Fülle von Datenbanken wie MySQL,
PostgreSQL, MSSQL, Oracle, Informix u. a. m.
angesprochen. Auch eine LDAP-Unterstützung , etwa für
Adressbücher, Verwaltung von Benutzern und zur
Administration ist vorhanden.
Es gibt in Horde 2 Groupware-Suites mit darauf
basierenden weiteren Anwendungen , die Zahl der Benutzer
geht in den Gruppen von 10 bis zu 3 Millionen. Die
Groupwareanwendungen liegen derzeit in der 2.
Major-Version vor, sie haben alle die jeweils gleiche
Benutzer- und Datenbasis. Für Entwickler gibt es als
Werkzeuge Chora und Whups( letzteres vor allem zum
Debugging ).
Die Anwendungen sind internationalisiert, in IMP etwa
wird Unicode konsequent unterstützt. Daran hatte Jan
selbst entscheidenden Anteil. Derzeit werden zur
Dokumentation 39 verschiedene Übersetzungen
unterschiedlicher Aktualität angeboten. Als besondere
Schwierigkeit erwies sich für einen Entwickler wie Jan
die Unterstützung von Rechts-nach-Links-Schriften wie
etwa Hebräisch.
Horde selbst bietet eine enorme, hoch konfigurierbare
Funktionsvielfalt in allen seinen Anwendungen, es gibt
die Möglichkeit, sich über sogenannte "Hooks" in den Code
einzuklinken, das Projekt ist modular aufgebaut. Wie bei
allen großen Softwareprojekten, so betonte Jan weiter am
Donnerstag, werden bestimmte Probleme erst bei massenhaft
paralleler Nutzung sichtbar. Dies gilt insbesondere für
Zugriffe zu hierarchischen Datenbankstrukturen.
Um einen Eindruck von einer Anwendung selbst zu
verschaffen, installierte Jan dann auf seinem Notebook
die Webmail Edition. Er verwies darauf, dass durch
besondere Skripten der Installationsvorgang erheblich
vereinfacht wurde. Zunächst wird ein tar-Archiv
ausgepackt, dann in das Installationsverzeichnis
gewechselt und dann ein Konfigurationsmenu durchlaufen,
das in einer Abfolge von etwa 5 sukzessiven
Einfachauswahlfragen die Einstellungen für die
Installation vornahm. Wir alle konnten auf der Leinwand
mitverfolgen, wie problemlos und rasch so die
Installation und Konfiguration klappen kann.
Auf Nachfrage bestätigte Jan, dass die Übernahme von
älteren Datenbeständen und auch die Anbindung an
MS-Exchange möglich sei.
Beim Zugriff auf die Webmail erfolgt über den Browser
eine Authentifizierung. Die Oberfläche ist in ihrem
Aussehen durch den Benutzer konfigurierbar.
Jan rief dann die Administrationsoberfläche auf und
zeigte, wie die Webmailanmeldung aussieht. Hier war auch
recht eindrucksvoll zu sehen , was Internationalisierung
bedeutet: da sah man "problemlos" im Maileingangsfeld
lateinische, chinesische und russische Schriftzeichen
unter- und nebeneinander stehen, wir konnten auch in eine
chinesische Mail hineinsehen.
Die Webmailanwendung unterstützt auch die Integration in
Spamschutzsysteme, die Filterung erfolgt auf dem
Mailserver. Auch gibt es ein Anzeigeinstrument für
Emailanhänge, einen HTML-Mail-Editor und eine Integration
von smime und pgp. Auf IMAP-Servern ist darüber hinaus
eine entsprechende Ordnerverwaltung möglich.
Besonderes Interesse rief in der Gruppe die Adressbuch-
und die Kalenderfunktion hervor. Hier gibt es die
Möglichkeit, eine individuelle Terminplanung über das
Netz vorzunehmen. Auch kann in einer fein granulär
einstellbaren Weise geregelt werden, welche Personen was
gezeigt bekommen( nur "anzeigen" oder auch Einträge
"lesen" ). Es ist auch eine Kategorisierung von
bestimmten Treffen möglich sowie eine Aufgabenverwaltung.
Die Einführung bestimmter Unteraufgaben, die für die
Erreichung der Gesamtaufgabe zu erfüllen sind, ist
derzeit mit Horde noch nicht möglich und ein Ziel für die
Weiterentwicklung des Projektes.
Für Gesprächsabsprachen gibt es Gruppenkalender,
Parallelanzeigen von Kalendern und einen Datenaustausch
zwischen den beteiligten Personen über Email . Natürlich
sind die Einsichtsrechte für verschiedene Nutzer zentral
einstellbar.
Am Ende seiner eindrucksvollen Vorführung wurde Jan noch
gefragt, wie lange denn üblicherweise die
Vollinstallation aller Module dauere. Dazu meinte er,
dass man mit etwa 2 - 3 Tagen bis zur Lauffähigkeit
rechnen müsse.
In der abschließenden Diskussion wurde der Wunsch
geäußert, dass man diesem umfangreichen Projekt nur einen
großen Bekanntheitsgrad wünschen könne. Jan selbst
meinte, dass Anpassungen der bestehenden Softwarebasis an
bestehende Kundenwünsche, Beratungen hierzu usw. eine
Basis für eine Existenz in diesem Open-Source-Projekt
bieten können. Naturgemäß tue er sich als Entwickler mit
Marketingaspekten sehr schwer , dies könnten andere
sicher besser.
Uns allen bleibt nur, Jan Schneider für seinen
ausführlichen und äußerst informativen Vortrag ganz
herzlich zu danken! Beeindruckend war auch, eine
Anwendung problemlos in Aktion treten zu sehen und
sich so einen Eindruck von der Oberfläche, den
Möglichkeiten und der Administrierbarkeit verschaffen zu
können. Viel Glück Dir , Jan, bei der weiteren Arbeit an
diesem Projekt, dies umso mehr, als Du damit den
Lebensunterhalt verdienst. Dank auch an Volker Eckert,
der den Kontakt zu Jan Schneider vermittelt hat.
Nach dem Vortrag konnte zu vorgerückter Stunde nicht mehr
abschließend geklärt werden, wann wir uns wo wieder
treffen. Hierzu ergeht wie gewohnt noch eine Mail.
Ich hoffe, das Wesentliche einigermaßen korrekt
wiedergegeben zu haben, und freue mich wie immer über
Reaktionen und Korrekturen, die die Themen noch weiter
vertiefen helfen.
Viele Grüße, bis bald!
Ulrich
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