[hvoss at muenster.de: Strafprozess gegen mich wegen Aeusserung im Internet]
Cord Beermann
cord at lug-owl.de
Sun Jan 5 15:47:02 CET 2003
Tag.
Diesmal ein Thema was mit Linux garnichts mehr zu tun hat, allerdings
mit
1. Freie Meinungsaeusserung
2. Rechtswidrige Datenschutz-Praxis eines grossen deutschen Internetanbieters
comments?
Cord
----- Forwarded message from Holger Voss <hvoss at muenster.de> -----
X-Envelope-To: <fitug at cord.de>
Date: Sun, 5 Jan 2003 14:52:31 +0100
From: Holger Voss <hvoss at muenster.de>
To: debate at lists.fitug.de
Subject: Strafprozess gegen mich wegen Aeusserung im Internet
X-Spam-Status: No, hits=0.4 required=10.0
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SPAM_PHRASE_00_01
version=2.43
Hallo,
gegen mich findet am kommenden Mittwoch ein Strafprozess statt.
Ich schicke euch mal meine Presseerklärung, das Thema dürfte von Interesse sein.
Schönen Gruß
Holger Voss
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Muenster, den 04. Januar 2003
P r e s s e e r k l a e r u n g
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Am kommenden Mittwoch, dem 08. Januar 2003, stehe ich wegen angeblicher
Billigung von Mord vor Gericht. Meine Aeusserungen _gegen_ die
Verharmlosung eines Massakers an Kriegsgefangenen wird mir ausgelegt als
Billigung von Mord.
=> Termin: Mittwoch 08.01.2003, 09.00 Uhr
Amtsgericht Muenster, Gerichtsstrasse 2, Raum 185, I. Stockwerk,
48149 Muenster
Das "Magazin fuer Netzkultur" Telepolis veroeffentlichte im Juni 2002
einen Artikel ueber ein Kriegsmassaker, das mutmasslich von der
afghanischen Nordallianz an einigen tausend Kriegsgefangenen begangen
wurde - unterstuetzt durch Soldaten der USA und Grossbritanniens.
Im Diskussionsforum zu diesem Artikel lobte ein Unbekannter mit dem
Pseudonym "Engine_of_Aggression" das Massaker.
Diese Verherrlichung von Gewalt gegenueber Kriegsgefangenen habe ich
sarkastisch aufgegriffen, um sie mit vertauschten Rollen und ironisch
ueberspitzt zu erwidern. So habe ich die Grausamkeit von
"Engine_of_Aggression"s Text sowie die Grausamkeit kriegerischen Denkens
ueberhaupt vorgefuehrt.
Mir wird nun vorgeworfen, ich habe "zumindest billigend in Kauf
genommen, dass der 'unbefangene' Leser" meine "Aeusserungen als
Billigung der Terroranschlaege verstehen konnte".
(Der Diskussionsverlauf ist in Anlage 1 ausfuehrlicher dargestellt.)
Fuer Medien und Oeffentlichkeit ist dieses Verfahren aus mehreren
Gruenden interessant:
=> Im Verfahren wird es wohl um die Frage gehen, ob Menschen fuer einen
ironischen Text bestraft werden duerfen, nur weil nicht
auszuschliessen ist, dass der Text faelschlicherweise woertlich
verstanden werden kann.
Sind Satire, Ironie, Sarkasmus, Parodie usw. von der
Meinungsfreiheit ausgeschlossen?
=> Zweifellos ist es scharf zu verurteilen, wenn massenhaft unbeteiligte
Menschen getoetet werden, um bestimmte politische Ziele
durchzusetzen. Da sehe ich als ueberzeugter Kriegsgegner keinen
grundsaetzlichen Unterschied zwischen den Terroranschlaegen vom
11. September 2001 und dem Angriffskrieg gegen Afghanistan, den die
USA mit der afghanischen Nordallianz, mit Grossbritannien, mit der
BRD und anderen fuehrt.
Aber ueber den anti-afghanischen Angriff darf kontrovers
diskutiert werden, ueber den anti-us-amerikanischen Angriff ist
offenbar nur eine Meinung erlaubt.
Das Toeten in Afghanistan darf nicht nur gebilligt werden, es darf
sogar von hier mitgeplant und unterstuetzt werden. Das Toeten in den
USA hingegen darf hier noch nicht einmal Bestandteil einer
moeglicherweise missverstaendlichen (weil ironischen) Aeusserung
sein, die eine dritte Position bezieht: gegen Krieg _und_
Terrorismus, weil beides im Grunde das Gleiche ist.
Es ist erschreckend, wie die Justiz hier mit zweierlei Mass misst.
Deutsche Soldaten und Soldatinnen kaempfen wieder weltweit in
Kriegen, und "zu Hause" broeckelt die Meinungsfreiheit?
=> In den Ermittlungen gegen mich wurde auf illegale Datenbestaende
zugegriffen.
Der Internet-Provider T-Online hat ueber Monate hinweg meine
Internetverbindungsdaten aufbewahrt, ohne dass gegen mich ein
richterlicher Ueberwachungsbeschluss vorgelegen haette und ohne dass
die Aufbewahrung der Daten fuer Abrechnungszwecke noetig gewesen
waere.
Das praeventive Speichern von Kommunikationsdaten ohne besonderen
Anlass ist illegal, es ist unter Datenschutz-Gesichtspunkten ein
Skandal. Wenn staatliche Organe solche illegal einbehaltenen Daten
verwenden, ist das eher das Verhalten eines Ueberwachungsstaates, als
das Verhalten eines freiheitlichen Systems.
Dass Verbindungsdaten, die ohne Tatverdacht vorsorglich aufbewahrt
wurden, gerichtlich verwendet werden, um unerwuenschte politische
Aeusserungen zu bestrafen, waere gemeinhin wohl eher der StaSi (MfS,
Ministerium fuer Staatssicherheit der DDR) zugetraut worden, als
einem Gericht der Bundesrepublik.
(Die Illegalitaet der Datenbestaende ist in Anlage 2 genauer
erlaeutert.)
Ich wuerde mich freuen, wenn Sie das Verfahren gegen mich besuchen und
darueber berichten wuerden. Ich denke, es wird in Bezug auf
Meinungsfreiheit, kuenstlerische Freiheit, die Bewertung von
kriegerischer bzw. terroristischer Toetung, Datenschutz,
ueberwachungsstaatliche Tendenzen sowie Zensur des Internet ein
interessantes Verfahren werden.
Anhand der in Anlage 1 genannten Quellen sollte der Verlauf der
Diskussion deutlich werden, in der ich die kriminalisierte Aeusserung
abgegeben habe.
Anhand von Anlage 2 sollte deutlich werden, warum das Verwahren
meiner Verbindungsdaten illegal war.
Fuer eventuelle Rueckfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfuegung.
Abends und am Wochenende versuchen Sie gerne, mich telefonisch zu
erreichen.
Ansonsten stellen Sie am besten per E-Mail oder Fax Kontakt her.
Mit freundlichen Gruessen
Holger Voss
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Anlage 1
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Der Verlauf der Diskussion erschliesst sich aus folgenden Texten:
1. Neuber, Harald: "Das Massaker, das nicht sein darf"
redaktionell veroeffentlicht bei Telepolis
20.06.2002 (zwischen 00.00 und 01.12 Uhr)
www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/12758/1.html
Der Autor schreibt ueber ein Massaker, das mutmasslich die
afghanische Nordallianz an Kriegsgefangenen veruebt hat. Die
Nordallianz soll bei diesem Massaker von Soldaten der
us-amerikanischen und der grossbritischen Armee unterstuetzt worden
sein. Mehrere tausend Menschen fielen, soweit bekannt, dem Massaker
zum Opfer.
in Reaktion auf 1.:
2. Engine_of_Aggression: "Da trifft es mal die Richtigen !"
offenes Diskussionsforum bei Telepolis
21.06.2002 04.52 Uhr
www.heise.de/tp/foren/go.shtml?read=1&msg_id=1911553&forum_id=30631
Der pseudonyme Autor gratuliert den Taetern zu dem von ihnen
veruebten Massaker.
in Reaktion auf 2.:
3. Voss, Holger: "EoA zum 11.9.2001.: Gratulation! Das Boese wurde mit
der Wurzel ausgerissen!"
offenes Diskussionsforum bei Telepolis
21.06.2002 23.21 Uhr
www.heise.de/tp/foren/go.shtml?read=1&msg_id=1916234&forum_id=30631
Ich uebernehme verschiedene Formulierungen aus 2., vertausche aber
die Rollen von USA = Opfer und Taliban = Taeter, um die
menschenverachtende Brutalitaet von 2. vorzufuehren. Obwohl der Text
offensichtlich ironisch-ueberspitzt ist, weise ich noch ausdruecklich
darauf hin, dass er moeglicherweise Sarkasmus enthaelt.
Bitte lesen Sie die genannten Texte selbst, um sich einen eigenen
Eindruck zu verschaffen.
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Anlage 2
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Ich habe (und hatte zum Zeitpunkt des umstrittenen Schreibens) beim
Internet-Provider T-Online einen Flatrate-Tarif. Ich zahle also
unabhaengig von der genauen Internetnutzung monatlich einen pauschalen
Betrag. Fuer Abrechnungszwecke ist es daher voellig belanglos, wann
genau ich den Internet-Zugang genutzt habe und welche Internet-Adresse
ich jeweils verwendet habe.
Parapraph 6 Abs. 2 TDDSG (Teledienstedatenschutzgesetz):
"Zu loeschen hat der Diensteanbieter
1. Nutzungsdaten fruehestmoeglich, spaetestens unmittelbar nach Ende der
jeweiligen Nutzung, soweit es sich nicht um Abrechnungsdaten handelt,
2. Abrechnungsdaten, sobald sie fuer Zwecke der Abrechnung nicht mehr
erforderlich sind [...]"
Dass diese Pflicht zur Loeschung von Verbindungsdaten eindeutig fuer
Flatrate-KundInnen gilt, macht auch das Bundeswirtschaftsministerium
deutlich:
Bundesministerium fuer Wirtschaft und Technologie: e-f at cts.
Informationen zum E-Business. Ausgabe 09/Februar 2002. Seite 6
("Datenschutz"):
"Nicht mehr benoetigte Daten loeschen
Benoetigt der Diensteanbieter die Nutzungsdaten allerdings fuer diese
Zwecke [gemeint sind Abrechnungszwecken; HV] nicht mehr, so muss er sie
loeschen. Und zwar sogar direkt nach einer Bestellung oder einem
Auftrag, falls ein Kunde einen Dienst pauschal nutzt, also unabhaengig
von Umfang oder Art der Nutzung (z. B. Flatrate)."
(www.bmwi.de/Homepage/download/infogesellschaft/efacts09.pdf)
Auch die Fachpresse bestaetigt diese Einschaetzung:
Holger Bleich und Joerg Heidrich: "Ach wie gut, dass niemand
weiss ...". c't 19/2002, S. 124 ff.:
"Umgekehrt duerfen aufgrund des allgemeinen datenschutzrechtlichen
Grundsatzes der Datensparsamkeit aber keine Informationen ueber die
Nutzung von Flatrates gespeichert werden, da diese fuer eine Abrechnung
eben gerade nicht relevant sind."
(http://www.heise.de/ct/02/19/124/)
Die Datensammlung durch T-Online wurde auch von staatlichen Stellen als
illegal geruegt. Geaendert hat sich offenbar bisher nichts:
Holger Bleich und Joerg Heidrich: "Ach wie gut, dass niemand
weiss ...". c't 19/2002, S. 124 ff.:
"Das fuehrt zurueck zum eingangs erwaehnten T-Online-Fall:
Ausgerechnet der groesste deutsche Zugangs-Provider bewahrt saemtliche
so genannte 'Nutzungsdaten' der Kunden nach eigenen Angaben 80 Tage lang
auf - auch die der Nutzer einer T-DSL-Flatrate. Aus diesem Grund haben
die Datenschuetzer T-Online laengst im Visier. Seit Anfang dieses Jahres
[2002; HV] versucht das Regierungspraesidium Darmstadt als zustaendige
Aufsichtsbehoerde, T-Online dazu zu bewegen, sich datenschutzkonform zu
verhalten."
(http://www.heise.de/ct/02/19/124/)
Die Einschaetzung durch einen auf Datenschutz spezialisierten
Rechtsanwalt:
Holger Bleich und Joerg Heidrich: "Ach wie gut, dass niemand
weiss ...". c't 19/2002, S. 124 ff.:
"Fuer Datenschutzexperten wie den Rechtswanwalt Stefan Jaeger ist die
Sachlage eindeutig: 'T-Online handelt hier rechtswidrig.'"
(http://www.heise.de/ct/02/19/124/)
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