Spiegel Verstrahlt ?

Ralf Gesel|ensetter rgx at gmx.de
Mi Mär 23 15:02:13 CET 2005


Am Mittwoch, 23. März 2005 08:10 schrieb Volker Eckert:
> hier die links zu den Artikeln.

Danke, ich schau sie mir gleich mal an...

1. "Die Not mit dem Retter"

> Nach über acht Monaten Quälerei dann die Kapitulation: Er meldet sich
> bei linuxforen.de ab

Okay, sowas kann es geben - ein Forum ersetzt eben nicht die lokale LUG.


> Da wirkt Linux mit seinem Kontrollanspruch reichlich rückschrittlich.
> Und das ist auch kein Wunder. Denn so zukunftsweisend die Software
> auch gerade vermarktet wird: Im Grunde ist sie steinalt.  

Das ist Polemik. Was meint der erste Satz ("Kontrollanspruch")? Hier 
wird geschickt das Attribut "rückschrittlich" mit "steinalt" verquickt.

> Für die Kybernetiker erschien der Computer als hochkomplexe aber
> dennoch bis ins letzte Detail kontrollierbare Maschine. Linux hat das

Und für den Laien erscheint der Computer als willkürlich agierendes 
Wesen, korrekt.
 
> kybernetische Kontrolldenken in seiner Programmstruktur konserviert.
> Wer damit arbeiten will, hat nicht nur die Möglichkeit, sondern
> letztlich auch die Aufgabe, alles an seinem System zu kontrollieren.
> Er ist nicht nur Anwender, sondern gleichzeitig auch immer der
> Administrator seines eigenen Systems.      

Nun ja, auch unter Linux gibt es Dinge wie hotplug, autofs, devfs und 
KDE - aber man muss sich bei bestimmten Einstellungen (zum Glück) als 
root autentifizieren. Unter Windows gibt es Programme, die nur 
funktionieren, wenn alle Nutzer der Administratorengruppe angehören - 
dann kann man das Admin-Passwort getrost vergessen...


> Wer beim "Blick hinter die Kulissen" mit kryptischen Zeichen operiert,

Seit wann ist Ascii kryptisch? Kryptisch ist der Binärcode der 
Registry...

> die er nicht versteht, gefährdet sein System viel nachhaltiger, als  
> es der dümmste Windows-User je könnte. 
 
Das wage ich zu bezweifeln. Wer ein System nutzt, dessen Quellcode nicht 
einsehbar und daher auch nicht kontrollierbar ist, handelt genauso 
fahrlässig, wie jemand, der in einem Fremden Land eine Suppe isst, 
deren Koch sich nicht in die Küche schauen lässt (oder so).

> Abgesehen davon enthält der Linux-Sourcecode Unmengen von Fehlern.

Hier fehlt (bewusst) ein "auch" - Weglassen von Tatsachen erfüllt den 
Tatbestand des Betruges :}

> Immerhin wurde er von Hunderten Programmieren über Jahre hinweg
> zusammengeschrieben. Und wo viele Menschen arbeiten, werden 
> unweigerlich viele Fehler gemacht. Auch und gerade wenn der Code offen
> liegt und ständig Schwachstellen entdeckt und ausgebessert werden. Vor
> Computerviren sind Linux-User übrigens nur deshalb sicher, weil es
> sich für böswillige Hacker noch nicht lohnt, Linux-Viren zu schreiben. 
> Und nicht, weil Viren in einer Linux-Umgebung nicht funktionieren
> würden.        

Das ist schlichtweg falsch. Die Welt der Linuxrechner ist einerseits zu 
vielfältig - so dass sich Viren hier nicht so gut verbreiten würden, 
wie in der Monokultur von Windows. Zum anderen sind die 
Sicherheitskonzepte wesentlich besser: Dateien benötigen z.B. 
ausdrücklich ein x-Flag, um ausgeführt werden zu können, Dateiendungen 
werden nicht versteckt usw. 

> Doch nur weil Linux in einer Open-Source-Community entstanden ist,
> werden diejenigen, die damit arbeiten, nicht automatisch freier und
> unabhängiger im Umgang mit Computertechnologie. Eigentlich ist genau

Automatisch passiert nur wenig - aber Linuxnutzer sind per se unabhänig 
von der Unternehmenspolitik des wirtschaftsstärksten Konzerns der Welt.

> das Gegenteil der Fall: Wer den größten Teil seiner Arbeitszeit damit
> verbringt, Fehlerprotokolle auszuwerten, Programmbibliotheken zu
> pflegen, Befehlszeilen auszuprobieren und nach Software-Updates zu
> suchen, hat sich zum Sklaven seiner eigenen Kontrollsucht gemacht.
> Angefixt durch Linux-Versprechen, "hinter die Kulissen" blicken zu
> können.        

Das ist eine Frage der Sichtweise. Dasselbe könnte man über politisches 
Engagement sagen: Wer mitbestimmen möchte, was die Politik tut, muss 
viel lesen, schreiben; da verzichtet mancher lieber auf sein 
Kontrollbewusstsein und zieht sich zurück in eine Welt von RTL2, SAT1, 
Bild oder Spiegel... 

In Wirklichkeit besteht gerade in dieser Freiheit zur Partizipation an 
der Opensource-Entwicklung auch ihr Motor. Der Autor beschreibt den 
Eiindruck eines frustrierten Linuxnutzers, ohne die Dynamik des Ganzen 
zu sehen: Welches andere System ermöglicht es, unmittelbar auf 
auftretende Probleme oder Anforderungen zu reagieren, die 
Funktionalität von Software direkt und schrittweise zu erweitern? 

Das Prinzip der Aufklärung hat die Wissenschaft weit vorangebracht - was 
in Redmond geschieht entspricht eher der Geheimwissenschaft eines 
Priesterstaats (Vatikan?)...
 
> Für die Gegenwart sollte das nicht heißen, technologische
> Entwicklungen zu ignorieren. Man sollte sich nur nicht von ihnen
> kontrollieren lassen. Unabhängig davon, ob man mit Windows, MacOS oder
> Linux arbeitet.    

Das ist vollkommen richtig. Nur, dass das Wort "kontrollieren" hier 
mehrdeutig ist:

- Ich lasse mein Leben nicht von der technologischen Entwicklung 
kontrollieren, wenn ich mindestens 50 % meiner Freizeit _nicht_ am PC 
verbringe 
- Ich lasse mich (meine Daten) nicht von der technolog. Entwicklung 
kontrollieren, wenn ich meine Mails mit GPG verschlüssele und nur noch 
OpenSource-Produkte verwende
- Ich lasse mich nicht von der technolog. Entw. kontrollieren, wenn ich 
sie kontrolliere, indem ich an ihr teilhabe. Meint der Autor, Microsoft 
käme jemals auf die Idee, sein Betriebssystem z.B. in samischer Sprache 
anzubieten?